Erektile Dysfunktion

Erektile Dysfunktion: Nur ältere Männer sind betroffen?

Autor:

Shaun Ward

Medizinischer Autor & Forscher

on:

June 19, 2024

Das Wichtigste in Kürze
  • Erektile Dysfunktion (ED) tritt mit zunehmendem Alter häufiger auf, betrifft aber mindestens 10 % der jungen Männer.
  • Bei jungen Männern hat die erektile Dysfunktion öfter eine psychogene (psychisch bedingte) Ursache.
  • Eine Erektionsstörung bei jüngeren Männern kann ein frühes Anzeichen für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung sein.

Was ist erektile Dysfunktion?

Unter erektiler Dysfunktion versteht man die anhaltende und wiederkehrende Unfähigkeit, eine ausreichend steife und lang anhaltende Erektion aufrechtzuerhalten, um befriedigenden Geschlechtsverkehr zu haben. Es handelt sich um ein gesundheitliches Problem, das die Lebensqualität, sexuelle Beziehungen und das allgemeine Selbstvertrauen und Wohlbefinden von Männern stark beeinträchtigt.

Der Schweregrad der erektilen Dysfunktion umfasst ein breites Spektrum mit zahlreichen möglichen Ursachen. Im Allgemeinen ist sie aber entweder psychogen oder organisch bedingt. 

  • Bei der psychisch bedingten erektilen Dysfunktion hat ihre Hauptursache in der Psyche und ist auf psychologische oder emotionale Faktoren zurückzuführen. Die Symptome treten in der Regel plötzlich auf, möglicherweise nach einem einschneidenden Lebensereignis oder einem psychischen Konflikt. Menschen mit psychisch bedingten erektilen Dysfunktion haben eher Schwierigkeiten, eine Erektion aufrechtzuerhalten, als sie zu bekommen.
  • Die organisch bedingte erektile Dysfunktion ist meist ein Symptom eines anderen gesundheitlichen Problems, z. B. einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, eines niedrigen Testosteronspiegels oder einer neurodegenerativen Erkrankung. Bei Menschen mit organisch bedingter erektilen Dysfunktion treten die Symptome in der Regel schleichend auf, und sie haben Schwierigkeiten, eine Erektion zu bekommen, auch ihre Libido normal ausgeprägt ist. 

Erektile Dysfunktion bei jungen Männern

Erektile Dysfunktion ist eine Erkrankung, die mit dem Alter zusammenhängt. Mit zunehmendem Alter treten Erektionsstörungen häufiger auf. Etwa die Hälfte der Männer zwischen 40 und 70 Jahren gibt an, in gewissem Maße an ED zu leiden. Männern zwischen 70 und 79 leiden viermal häufiger an ED als Männer zwischen 20 und 29. Die meisten Männer über 65 Jahre entwickeln Symptome einer ED.1

Allerdings betrifft diese Erkrankung nicht nur älteren Männer. Erektionsstörungen bei jungen Männern sind häufig und sind eine der wenigen Beschwerden, die Männer dazu veranlassen, einen Urologen aufzusuchen. Basierend auf zahlreichen Untersuchungen in ganz Europa (mit mehreren Tausend jungen Männern) liegt die geschätzte Prävalenz der erektilen Dysfunktion bei Männern im Alter von 18 bis 40 Jahren zwischen 15 und 30 %.2,3,4 Eine dieser Studien, die in Florenz durchgeführt wurde, ergab außerdem, dass die erektile Dysfunktion jedes Jahr häufiger diagnostiziert wird. Im Jahr 2010 lag die Häufigkeit 5 % und im Jahr 2015 bei mehr als 15 %.3 Ob dies darauf zurückzuführen ist, dass es mehr Fälle von erektiler Dysfunktion gibt oder dass mehr junge Männer ihre Symptome offen einem Arzt besprechen, ist jedoch nicht klar. Experten argumentieren seit langem, dass die Krankheit unterdiagnostiziert ist, was zum Teil auf die mit der Krankheit verbundene Scham zurückgeführt wird.5

Ursachen der erektilen Dysfunktion bei jungen Männern

Abgesehen vom Alter können Erektionsstörungen vielfältige und oft zusammenwirkende Ursachen haben. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Harnwegsinfektionen, Fettleibigkeit, metabolisches Syndrom, Angsterkrankungen, Depressionen – all dies sind mögliche organische Ursachen für Erektionsstörungen, die von einem Arzt evaluiert werden sollten. Als situationsbedingte Ursachen für eine psychogene erektile Dysfunktion kommen psychische Belastungen (z. B. Depressionen, berufliche Instabilität, posttraumatische Belastungsstörungen), Leistungsangst und Probleme in der Partnerschaft infrage. In jüngerer Zeit gibt es sogar Hinweise darauf, dass die erektile Dysfunktion eine relativ häufige und manchmal lang anhaltende Begleiterscheinung von COVID-19 ist.

Einige Wissenschaftler haben jedoch festgestellt, dass die Ursache der erektilen Dysfunktion bei jungen Männern im Vergleich zu älteren Menschen eher psychisch und nicht organisch bedingt ist.6 Dies ist eine gewisse Veränderung gegenüber dem wissenschaftlichen Konsens, der bis in die 1970er Jahre bestand. Damals ging man davon aus, dass Erektionsstörungen bei jungen Männern immer psychogenen Ursprungs sind. Aus neueren Studien geht hervor, dass etwa 17 % der Fälle von Erektionsstörungen bei jungen Männern primär organisch bedingt sind. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu den Patienten, die über 40 Jahre sind, bei welchen 59 % eine organische erektile Dysfunktion aufweisen.4

In den meisten Fällen spielen jedoch mehrere Faktoren eine Rolle, wobei es sich um eine Mischung aus psychogenen und organischen Komponenten handelt. Das trifft auch auf junge Männer zu. Jeder Patient hat seine eigene Krankengeschichte und seine eigenen besonderen Lebensumstände. Die möglichen Ursachen können sich auch gegenseitig verstärken und eine Art Teufelskreis werden. So können beispielsweise belastende Lebensumstände und vorbestehende Erkrankungen zur Entwicklung einer erektilen Dysfunktion beitragen, während emotionaler und körperlicher Stress durch die erektile Dysfunktion die Situation verschlimmert. Es ist auch möglich, dass die Sorgen der Patienten um ihre Erektionsfähigkeit und -dauer eine zuvor harmlose organische Ursache der erektilen Dysfunktion verstärken können.

Erektile Dysfunktion kann ein frühes Anzeichen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein

Ein wichtiger und häufig übersehener Aspekt der erektilen Dysfunktion ist ihr Zusammenhang mit Atherosklerose (d. h. der Ablagerung von Plaque in den Arterien) und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wir haben vor Kurzem ein Interview mit dem weltweit anerkannten Kardiologen Professor Albert Ferro geführt, der erklärte: „Es ist zunehmend anerkannt, dass Erektionsstörungen bei Männern ein früher Prädiktor für eine stille Atherosklerose sind“. Später im Interview fährt er fort: "… wir wissen jetzt, dass Atherosklerose die Arterien, die den Penis versorgen, genauso betreffen kann wie die anderen Arterien im Körper. Deshalb kann Atherosklerose Erektionsprobleme verursachen. Dies kann ein frühes Warnzeichen dafür sein, dass Atherosklerose auch an anderen Stellen im Körper vorliegt, und es kann ein Hinweis dafür sein, dass diese Patienten näher untersucht werden sollten.“

Erektile Dysfunktion und koronare Herzkrankheit sind wohl auf ähnliche zugrunde liegende vaskuläre Störungen zurückzuführen, sodass das Vorhandensein des einen das Auftreten des anderen vorhersagen kann.7 Dies wird durch zahlreiche Studien bestätigt. Ein Forschungsteam beobachtete Männer unter 50 Jahren mit Erektionsstörungen und stellte fest, dass sie ein 80 % erhöhtes Risiko hatten, nach 10 Jahren eine koronare Herzkrankheit zu entwickeln.8  In einer anderen Studie wurde herausgefunden, dass junge Männer mit Erektionsstörungen im Vergleich zu jungen Männern ohne Erektionsstörungen mehr subklinische (noch im Normbereich liegende) kardiovaskuläre Risikofaktoren aufwiesen: erhöhter systolischer Blutdruck, erhöhte Level des C-reaktives Proteins, von Cholesterin, Triglyceriden und der Intima-Media-Dicke der Halsschlagader.9 Bitte sprechen Sie umgehend mit einem Arzt, wenn Sie Symptome einer ED feststellen.

Quellen:

  1. Goldstein I et al. Sex Med Rev. 2020;8(1):48-58.
  1. Mialon A et al. J Adolesc Health. 2012;51(1):25-31.
  1. Rastrelli G & Maggi M. Transl Androl Urol. 2017;6(1): 79–90.
  1. Caskurlu T et al. Int J Urol. 2004;11(7):525-9.
  1. Shabbir M et al. Curr Med Res Opin. 2004;20(5):603-6.
  1. Corona G et al. Int J Impot Res. 2005;17(3):252-8.
  1. Elesber AA et al. Eur Heart J. 2006;27(7):824-31.
  1. Inman BA et al. Mayo Clin Proc. 2009;84(2):108-13.
  1. Yao F et al. Int J Androl. 2012;35(5):653-9.

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